Umschulung Händigkeit: Repression in der Familie als eine Ursache von unterdrückter Linkshändigkeit

Zum ursächlichen Prozess einer Umschulung zur Rechtshändigkeit. Zum Auftauchen der natürlichen Linkshändigkeit. Zur Rückschulung und zum Lösen der Probleme. Eine Beispielgeschichte von Umschulung und Rückschulung.

Die Umschulung
Ich wurde umgeschult. Viele stellen sich das so vor, dass mit dem Tag der Einschulung die Eltern dem Kind sagen, dass es die andere, die „gute“, die rechte Hand zum Schreiben benutzen soll. Und das Kind deshalb nicht weiter die Linke benutzt, die es eigentlich natürlicherweise genommen hätte.

In vielen Fällen geschieht es auch in dieser Weise. Aber bei einigen Menschen läuft die Umschulung anders. Es gibt sehr viele Wege, um von der eigenen Händigkeit wegzukommen in die falsche, in die der anderen Hand. Meistens geht es Linkshändigen so, die zur rechten Hand umgeschult werden. In Ausnahmefällen gibt es auch den umgekehrten Weg.

Der Prozess der Umschulung durch dogmatische Erziehung
In meinem Fall war es kein eindeutiges einzelnes Ereignis. In meinem Elternhaus herrschte ein Klima der dogmatischen Unterdrückung. Das Wort meiner Eltern galt als abslolut. Eine Alternative dazu war kategorisch ausgeschlossen. Mein Bruder und ich mussten bedingunglos gehorchen. Wenn wir das nicht taten, gab es Strafen – von emotionaler Erpressung bis zu harten Schlägen. Dies geschah regelmäßig, oft mehrmals täglich. So hatten mein Bruder und ich gelernt, die Strafen nicht zu provozieren. Wir hatten gelernt, die Dinge schon „richtig“, das heisst gemäß dem Weltbild meiner Eltern auszuführen, bevor meine Eltern es jeweils im Einzelnen „erklären mussten“. Denn erklären war oft genug direkt die Ausführung der Strafe. Die Gesetze meines Elternhauses galten als allen Betroffenen bekannt. Meine Eltern, vor allem mein Vater, mochte sich nicht gerne darin wiederholen. Es war wichtig, dass wir wie gedrillte Soldaten die Dinge bereits im vorauseilenden Gehorsam erfüllten. Taten wir das nicht, kam die Strafe, um uns auf den „richtigen“ Weg zu führen. Je früher und je in seinem Sinne erfolgreicher, desto erfolgreicher war die Erziehung. Und desto bessere Menschen waren wir – wir Kinder aber auch unsere Eltern als Verantwortliche für unsere Erziehung.

Christlich-fundamentalistische Basis als Mittel und Rechtfertigung der Repression
Dass dieser Weg der „richtige“ war, wussten meine Eltern genau und sie belegten dies auch. Beispielsweise mit dem vierten Gebot „Du sollst Vater und Mutter ehren“. Dies war für sie die ultimative Lizenz, die ihnen der christliche Glaube gab: sie konnten nicht nur, sondern mussten vollständig ihre Kinder beherrschen. Und dass die Kinder das entsprechend einzusehen hatten. Wenn nicht, musste es Strafen geben, die dies sicherstellten. Die Alternative für das Kind, in dem Fall mich und meinen Bruder wäre es gewesen, sündig zu sein. Das war keine Option in meinem christlich-fundamentalistischen Elternhaus, die der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses, einer evangelisch-lutherischen Kirche nahestanden bzw. sie praktizierten.

Vorauseilender Gehorsam als Folge massiver Unterdrückung
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich als Kind einen Stift oder etwas anderes in die linke Hand genommen hätte. Ich war so von diesem vorauseilenden Gehorsam durchdrungen, dass ich alles mir mögliche tat, um ein Aus-der-Reihe-tanzen mit entsprechender Strafe zu verhindern.

Da ich gesehen hatte, wie meine Eltern und mein Bruder die Dinge benutzen, ahmte ich dies direkt nach. Ich schrieb mit rechts und tat auch alle andere Dinge mit rechts. Es gab nur wenige Ausnahmen, die nicht konkret in Bezug auf Händigkeit erlernt werden – beispielsweise das Klatschen. Das tat ich mit links. Das fiel aber weder mir noch anderen auf. Und da es deshalb keine Strafe gab, konnte ich es als fast unsichtbares und deshalb unbewusstes Zeichen meiner Linkshändigkeit beibehalten.

Problematische Folgen der Umschulung
Die Folgen der falschen Händigkeit sind bei unterschiedlichen Menschen verschieden stark ausgeprägt. Je stärker die Umschulung, je ausgeprägter sind meist auch die Folgen. Bei mir bedeutete dies, dass die Folgen besonders ausgeprägt waren, da ich so gut wie alles mit rechts, der für mich falschen Hand tat: Schreiben und alle andere Tätigkeiten auch. Alles ausser Klatschen und den Telefonhörer halten. Das tat ich mit links.

Es dauerte deshalb viele Jahre und Jahrzehnte, in denen auf meinem Weg viele Probleme lagen, die aus der falschen Händigkeit, der sogenannten Umschulung resultierten. Diese Probleme wurden über die Jahre immer massiver. Sie reichten von Schlaf- und Orientierungsstörungen, zwischenmenschlichen und Selbstwertproblemen bis zu Depression und Suizidalität.

Das Finden der Ursache ist das Finden der Lösung
Über das Sympom der Schlafstörungen fand ich die Psychologin Marina Neumann, die sich auf Rückschulungen spezialisiert hat. Nach circa 25jähriger Suche endlich hatte ich die Ursache meiner vielfältigen Belastungen gefunden: die Umschulung zur Rechtshändigkeit. Und damit auch gleich die Rückschulung als Lösung.

Der Weg zurück zum eigenen Leben
Dies war einerseits ein relativ langwieriger und aufwändiger Weg. Trotzdem war er andererseits einfach wie keine Therapie zuvor: einfach meine linke Hand benutzen. Und vor allem enorm und nachhaltig wirksam. In dem Maße, in dem die Umschulung die Probleme produziert hatte, ließ die Rückschulung sie verschwinden. Ich bekam und bekomme mein Leben, mich selbst zurück, Schritt für Schritt. Ein Leben, das ich nie hatte. Ein gesundes Leben. Nun, mit über 40 kann es endlich beginnen.

Mehr Information zu Umschulung, Rückschulung in anderen Artikeln hier im Blog:
Filmbeitrag über Linkshändigkeit, Umschulung und Rückschulung (RBB)
Ein Fisch an Land. Der anstrengende Versuch etwas anderes zu sein als ich bin. Und das glückliche Ende dieses Versuchs.
Zurück zum Links. Zurück zum Leben.
Das mache ich mit links, oder?

Beratung und Begleitung zur Umschulung und Rückschulung in Berlin
Psychologin Marina Neumann, Fachfrau für Händigkeit, Umschulung und Rückschulung
Andrea Hofmann, Raum für Innere Arbeit

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