Linkshändigkeit und Rückschulung: Die Rückkehr der warmen Erinnerungen

Ich konnte das nie verstehen: dieses Schwelgen in ollen Kamellen. Verächtlich blickte ich auf die, die weiche Pupillen bekamen bei den Hits der 70er, 80er, der Musik ihrer jungen-Erwachsenen-Zeit. Ich fand, ich war da ja wirklich drüber weg. An was hielten sich die denn fest? An der Vergangenheit, die nicht mehr da war. Und noch mehr, an der Vergangenheit, die so nie war. So rosarot war die nie gewesen. Wir waren damals alle postpubertierend unsicher, auf unsicheren postjugendlichen Beinchen ins frische Erwachsenenleben staksend. Und die Musik war der Background dazu. Wieso sollte ich noch einem Background huldigen, der erstens sowieso out war, zweitens niemals wirklich hochwertige Musik gewesen war oder drittens, sogar wenn, dann doch nach dem sounsovieltausendsten Mal irgendwann wirklich abgehakt.

Das waren meine Gedanken und Gefühle als Umgeschulte. Wie unschwer zu erkennen ist, war meine Einstellung rechthaberisch und negativ. Und ich war in hohem Maße von meinen Gefühlen abgeschnitten. Denn diese Negativität, diese Verächtlichkeit, die in mir wohnte, spürte ich nicht.

Nun im Jahr 3 der Rückschulung sieht es ganz anders aus. Seit ungefähr einem Jahr fühle ich mich in Bezug auf diese alte Musik ganz anders. Es begann vor circa eineinhalb Jahren. Ich stand in meiner Küche und im Radio kam ein altes Lied. Es war eins dieser Lieder, die ich die letzten Jahrzehnte immer unsäglich gefunden hatte, auf die ich herabgeblickt hatte. Aber im Gegensatz zu meiner üblichen Handlung, auf einen anderen Radiosender zu gehen, ließ ich das Lied weitersingen, weiter in den Raum, in mich strömen. Und plötzlich fühlte ich mich wie damals. Ich fühlte mich gut, es war kuschelig, heimelich. Ja, ich begann sogar zu singen, laut und lustvoll zu singen. Sehr laut. Und sehr genußvoll. Und ich fühlte die Musik und die gute Laune durch meinen Körper strömen, ich fühlte mich wie damals.

Als das Lied zu Ende war, war ich verwirrt. Irgendwie glücklich, aber auch irgendwie verwirrt. Hatte irgendeine Regression stattgefunden? Das ist ein Rückfall in frühere, oft frühkindliche Verhaltensweisen. Weshalb? Was genau war los? Eine Regression findet statt, wenn eine Person ein Problem hat und deshalb aus der Situation in die Kindheit flüchtet. Die Situation in der Gegenwart funktioniert als Trigger für die fehlgelaufene Kindheit, in der es bei ähnlichen Situationen ein Trauma oder mehrere Traumen für die Person gab. Was war mein Problem? Welches Trauma? Welche Situation meiner Kindheit?

Ich war verwirrt. Trotz Nachdenken und -spüren fand ich nichts. Ich beschloss, es ersteinmal ruhen zu lassen und zu warten, ob sich nicht etwas Klärendes in der Zukunft ergeben würde. Und dem war so. Diese Situationen nahmen zu. Es dauerte eine Weile, bis es das nächste Mal passierte, ich schätze einige Wochen. Und es war auch nicht immer gleich intensiv. Aber es kam immer öfter. Und dann merkte ich es auch in anderen Bereichen. Beispielsweise mit meiner Großfamilie. Die Begegnungen mit ihnen lagen zum größten Teil in meiner Kindheit und Jugend, später hatten wir uns nicht mehr so oft gesehen. Und auch hier stellten sich plötzlich diese warmen, guten heimeligen Gefühle ein, wenn ich an sie dachte oder sie wieder traf.

Zuerst konnte ich das alles nicht so zuordnen. Aber dann merkte ich immer mehr, dass ich mich durch die Rückschulung, vor allem durch das Schreiben, wieder selbst in mich zurückschrieb. Zumindest fühlte und fühlt es sich so an. Und dadurch bin ich wieder verbunden mit mir. Das geschieht auf allen Ebenen: körperlich, geistig und seelisch. Ich habe wieder eine Verbindung zu meiner Vergangenheit, zu mir selbst.

Und nun passiert es öfter, dass ich die alten Lieder im Radio nicht wegdrehe, sondern mich freue, wenn ich sie höre. Mir wird warm ums Herz und ich singe fröhlich mit. je nach Lust und Lied schmettere ich auch lautstark mit und freue mich an dem warmen Strom, der durch mich fliesst. An dem warmen Strom, der ich bin, mein vergangenes Ich und mein jetziges Ich. Sie sind nun verbunden. Wieder verbunden. Und ich werde sie nie mehr trennen. Ich werde mich nie wieder von mir selbst trennen.

Weitere Informationen zu Umschulung und Rückschulung der Linkshändigkeit bei Andrea Hofmann, Berlin

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