Ein Fisch an Land. Der anstrengende Versuch etwas anderes zu sein als ich bin. Und das glückliche Ende dieses Versuchs.

Ich tue es, das fast Unmögliche. Ich bin ein Fisch, aber sie haben mich aus dem Meer geholt und an Land gesetzt. Also muss ich lernen, wie ein Mensch zu leben. Oder ich bleibe ein Fisch. Und sterbe als Fisch an Land. Ich wähle das Leben. Ich wähle das falsche Leben. Das Leben als Mensch. Ich probiere es. Sterben kann ich später auch noch. Ich versuche auf meinen Schwanzflossen zu gehen. Das tut sehr weh. Ich benutze meine anderen Flossen zum Greifen. Ich bin ungeschickt. Und es tut auch weh. Ich lerne mit meinen Kiemen die Luft an Land zu atmen. Das ist so eng und so beschwerlich. Und es tut auch weh. Aber ich tue es. Ich tue es und ich tue noch mehr. Ich bin so gut, dass es niemandem auffällt, dass ich kein Mensch bin. Ich werde so gut, dass ich in den meisten Dingen besser bin als sie. Weil ich so viel übe. Weil ich so brav bin. Weil ich ihren harschen Befehle gehorche. Weil ich das Gefühl habe, dass ich keine andere Chance habe. Entweder das oder sterben. Sterben will ich nicht. Jetzt nicht.

Das Meer, in dem ich geboren bin, ist weit weg. Und da ich direkt nach der Geburt an Land komme, denke ich zunehmend, dass ich mir das wohl eingebildet habe, das mit dem Meer. Vielleicht ist es ein inneres Bild für das Fruchtwasser, in dem ich geschwommen war. Die Anderen meinen, dass ich mir das sowieso alles einbilden würde, dass ich anders sei. Sie finden, dass ich bin wie sie. Und der Beweis ist ja, dass ich all das kann, was sie auch können. Und dass ich manches noch besser kann. Das könnte ja nicht sein, wenn ich wirklich anders bin als sie. Sagen sie. Denke ich. So viel Kraft und Talent könnte ich dann ja gar nicht haben. Und ich verdränge die anderen Dinge, die nicht so toll sind, ich sehe zu, dass die im Aussen nicht sichtbar werden. Nicht für sie und nicht für mich.

Ich vergesse es oft. Verdränge es. Die Schmerzen der Hornhaut an meinen Schwanzflossen durch das Gehen. Sie sind so stark und so konstant, dass ich sie einfach wegschiebe. So eine Art Grundrauschen in meinem Leben, das ich immer wieder beschließe zu akzeptieren und damit auszublenden.

Immer wieder. Das heisst, ich spüre es doch immer wieder. Obwohl ich dagegen ankämpfe, immer wieder. Jahrelang. Jahzehntelang. Jeden Tag viele Male. Viele viele tausend Male, zehntausend, hunderttausend Male mein ganzes Leben lang. Und immer wieder diese Schmerzen, dieses krampfhafte Akzeptieren, dass Leben eben weh tut. Das Leben eben immer diese Anstrengung ist, zu sein, zu leben. Immer diese Anstrengung.

Entspann dich doch! Sagen die Anderen. Die können das. Ich kann das sehen und fühlen. Die Menschen mit den Füssen und Händen. Ich sehe mich als Mensch mit Füssen und Händen, mit einer Lunge und mit Haut. Und wundere mich über mein Unglücklichsein. Ich bin so unglücklich. Immer. Aber nein. Ich bin auch glücklich. Denke ich. Und ich lache. Und ich bin immer freundlich zu Anderen. Also, sagen die Anderen, sage ich: wie kann ich da unglücklich sein? Das ist Quatsch. Das ist Einbildung.

Wenn ich einfach endlich auch mal glücklich sein will, dann mache ich Sachen, die mich aus dem Tal des Unglücklichseins katapultieren in Hochebenen des Glücks. Aber dieses Hochkatapultieren ist eben eine noch größere Anstrengung. Und danach bin ich immer noch ausgelaugter. Und das Glück ist nur billige Ekstase der Höhenluft der Hochebene, die ich durch die Anstrengung des Michselbsthochschießens erkauft habe. Und danach bin ich erst recht im Tal, im Loch. Im Loch meiner schmerzenden Kiemen, meiner Flossen die steif waren vor antrainierter Hornhaut und die sich unter den harten Schwielen konstant entzünden. Und viele Menschen finden das toll, weil sie es nicht können. Und verstehen nicht, dass es mich ein Vielfaches an Kraft im Vergleich zu einem Menschen kostet. Weil sie es selbst nicht tun.

Und mein Rückgrat, das ich durch meinen starken Willen scheinbar stark mache. So sieht es aus. Aber es ist nur Steifheit, grobe Verhärtung, die ihr Echo in immer stärkerer innerer Verhärtung hat. Je länger es dauert, desto anstrengender wird es. Mein Rückgrat ist nicht dazu gemacht, steif zu sein und mein Körpergewicht oben zu halten entgegen der Schwerkraft. Mein Kopf ist nicht dazu gemacht, oben zu sein, über meinem Körper. Das weiss ich nicht. Aber ich fühle es. Manchmal. Oft. Ich spüre, dass irgendetwas grundsätzlich falsch läuft. Das spüre ich schon früh, als junge Erwachsene. Ich gehe zu den Fachleuten: zu Ärztinnen und Ärzten, zu Psychologinnen und Psychologen. Und alle denken, sie wüssten, was mit mir los sei. Aber meistens sagen sie, dass ich mir das alles einbilde und dass ich gesund sei und dass gar nichts bei mir falsch liefe. Und schicken mich nach Hause.

So gehen viele Jahre ins Land. Ich komme zu alternativen Methoden, praktiziere Yoga, nehme Globuli und andere Dinge. Aber es hilft nicht. Nicht wirklich. Manche Dinge helfen wegen anderer Dinge, die auch noch bei mir in meiner Kindheit passiert waren. Da gab es einiges. Aber irgendetwas grundsätzlich Schräges bleibt. Und je älter ich werde, je mehr sehe ich, wie schräg andere Leute sind und wie krank. Und ich denke, dass so wohl das Leben sei. Und versuche wieder und wieder es zu akzeptieren. Aber mein Inneres will und will es nicht akzeptieren, dieses Leben, mein Leben.

Und so bleibe ich auf der Suche. Auf der Suche nach etwas, von dem ich gar nicht weiss, was es ist. Und dann finde ich es. Über ein körperliches Symptom, das ich schon seit meiner Kindheit hatte, über Schlafstörungen finde ich die Webseite einer Psychologin. Sie schreibt auf ihrer Seite von Menschen, die eigentlich Fische sind und deshalb ein ganz falsches Leben leben, wenn sie versuchen, das Leben eines Menschen zu leben, ein Mensch zu sein.

Ich weiss nicht, ob das auf mich zutrifft, aber ich erinnere mich an diese Idee von mir, dass ich im Meer geboren bin und an dieses Ahnen, dass meine Hände eigentlich Flossen sind. Aber ich mache mir keine großen Hoffnungen, denn ich denke, dass es wohl Hirngespinste sind, dass ich mich so gut fühlen könnte wie ein Fisch im Wasser. Ich bin eben kein Fisch und muss mich damit abfinden. Alles andere ist kindisch, unvernünftig und überhaupt. Das sagen die Anderen ja auch immer zu mir. Und so ist es wohl.

Aber wenn es da auch nur irgendeine Hilfe gibt zu meinen Schlafstörungen, will ich es doch probieren. Also gehe ich hin. Ich habe mit ihr besprochen, einen Test zu machen. Obwohl ich mir davon nicht allzu viel verspreche. Und wir machen den Test. Und es kommt raus, was ich überhaupt nicht gedacht hatte, nicht zu hoffen gewagt hatte: ich fühle beim Test, dass ich ein Fisch bin. Und sie sieht das auch so.

Ich bin gar kein Mensch. Das ist gar nicht das richtige Leben für mich. Es ist richtig, dass ich gefühlt habe, dass es falsch ist. Und die Anderen, für die war es entweder sowieso richtig und deshalb dachten sie, es wäre für mich auch richtig. Oder es war für sie auch falsch, aber weil zu ihnen auch so viele gesagt hatten, dass ihr Leben auch so richtig sei, als Menschenleben, deshalb glaubten sie das nun auch und sagten es deshalb auch zu mir.

Fisch! Ich bin ein Fisch! Ich muss mich nicht abquälen mit dem Menschenleben, das sowieso nicht passt. Ich muss mir diese Schmerzen nicht antun. Ich darf einfach Fisch sein.

Aber so einfach ist es dann doch nicht. Ich muss diese Prägung, die mir in meiner Kindheit zugemutet wurde und die ich mir dann über Jahre und Jahrzehnte selbst aufoktroierte, diese Prägung kann nur langsam wieder zurückgenommen werden. Das geht nicht von jetzt auf gleich.

So beginne ich unter Anleitung der Psychologin zunächst kleine Übungen. An Schwimmen ist noch gar nicht zu denken. Aber das macht mir nichts. Es ist nur ein kleines Basin mit Wasser und ich setze mich an den Rand, hänge meine Hände und Füsse ein bißchen ins Wasser und bewege sie leicht. Oh, wie schön das ist! Oh, wie wundervoll! Oh, wie leicht! Und obwohl ich überhaupt nicht mehr geübt bin und es deshalb eigentlich gar nicht kann, fühle ich mich vom ersten Moment an so wohl wie mein ganzes Leben vorher nicht. Dieses Plätschern im Wasser, diese ersten Schritte in Richtung Schwimmen und Fischleben, die gehen so leicht wie nichts, was ich jemals zuvor getan habe.

Ich bin so glücklich. Ich übe, wie sie es mir empfohlen hat. Ich übe nicht zuviel, denn ich merke, dass es sehr anstrengend für mich ist. Nach ungefähr zehn Tagen darf ich zum ersten Mal ganz ins Wasser, fast wie Schwimmen. Ich kann es noch überhaupt nicht und es sieht sehr unbeholfen aus. Aber das ist mir so egal. Ich bin so glücklich. Es macht mich so glücklich. Ich fühle, das ist mein Leben. Auch wenn ich noch nicht da angekommen bin, wenn ich noch nicht wieder schwimmen kann. Ich bin wie ein Fischbaby, das es zum ersten Mal lernt. Egal. Ich fühle es. Ich fühle den Fisch in mir.

Es ist so schön. Es ist so richtig. Und wieder meinen andere Leute, dass das wohl nicht richtig sei. Aber nun ist es mir egal. Ich fühle, was ich fühle. Manchmal habe ich Zweifel. Wenn das schwimmen üben mich anstrengt und ich immer noch wie ein unbeholfenes Kleinkind strample. Dann denke ich, vielleicht haben sie doch recht, vielleicht bin ich doch ein Mensch. Und ich bilde mir das ein, weil ich eine schöne Lösung haben will, die alles löst. Und das geht ja nicht. Das Leben ist ja anstrengend und schwierig. Und nicht schön und einfach. Das ist doch kindisch.

Und doch, es ist so. Ich bin mittlerweile so weit, dass das Schwimmen schon ganz gut geht. Ich schwimme noch nicht so gut wie die, die immer Fische waren. Aber ich komme gut klar. Ich mache jeden Tag meine Übungen, fast jeden. Und ich bin einigermaßen angekommen in meinem Fischleben. Ich kann wieder unter Wasser über meine Kiemen atmen, ich kann schwimmen, ich kann tauchen, ich kann Plankton essen unter Wasser. Ich kann ein echtes Fischleben leben, auch wenn es manchmal noch etwas hakelig ist und etwas anstrengend. Aber es ist eine ganz andere Art von Anstrengung. Sie ist leicht, auch wenn sie schwierig ist. Und sie fühlt sich einfach so richtig an. Alles fühlt sich so richtig an. Alles fühlt sich alles an wie mein Leben. Ich bin endlich angekommen in meinem Leben, in mir.

Dadurch bin ich erst richtig in meinem Fischkörper angekommen. Ich habe mich vorher immer unwohl gefühlt in meinem Körper. Und die Andern meinten, dass ich mir Dinge wünsche, die nicht sein können, dass ich mir einen perfekten Körper wünsche. Aber das war nicht so. Ich war nicht perfektionistisch. Ich habe mich einfach nur nicht wohlgefühlt in etwas, das gar nicht meins war. Ich habe gefühlt, dass mein Körper nicht mein echter Körper ist. Und jetzt, wo ich meinen Fischkörper habe, fühle ich mich sehr wohl mit ihm. Ich bin ganz eins mit ihm. Ausser in den kleinen Momenten, wo die Menschenprägung noch auftaucht. Aber die werden immer weniger.

Ich schlafe wieder richtig gut. Ich fühle mich wohl wie ein Fisch im Wasser. Oh, wie wunderschön! Und es ist wahr. Es ist nicht erfunden, nicht herbeikatapultiert und erzwungen wie früher. Es ist einfach so. Ich brauche nichts zu tun und es ist schön. Ich fühle mich einfach wohl mit mir, in mir, in meinem Leben. Ich bin endlich zu meinem Zuhause gekommen, zum Meer. Ich bin endlich zu mir nach Hause gekommen, zu meinem Leben als Fisch. Ich bin ein Fisch. Oh, wie wunderschön!

Hier der Link Marina Neumann, der Psychologin die die Rückschulung zur Linkshändigkeit betreut. Und ausserdem Händigkeitstests anbietet.
www.linkerhand.de

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