Mein Leben als Petersilie. Oder: Reincarnate now!

Ich verliere Haare. Jeden Tag. Jeder Mensch verliert Haare. Das sind so einige Dutzend jeden Tag. Und neuerdings freue ich mich sogar darüber.

Denn nun werfe ich die nicht mehr einfach in den Müll. Sondern ich nehme sie aus der Bürste und gebe sie direkt meinen Pflanzen auf dem Balkon. Das mögen die besonders gern. Demeterbauern düngen mit Hornspänen. Das sind sozusagen die Fussnägel von Kuh und Ochse. Meine Fussnägel kommen auch in die Erde, wie die Haare.

Das ist der Kreislauf der Natur. Werden und Vergehen. Aber nicht erst wenn ich tot bin, werde ich wieder zu Erde, sondern jetzt schon. Ein Teil von mir hilft der Petersilie und dem Salbei, dem Thymian und dem Lavendel gesund und kräftig zu werden. Meine Haare und Nägel nähren sie. Das gefällt mir.

Ich denke sowieso dass das mit der Reinkarnation eher so direkt und einfach gemeint ist. Wir werden und vergehen. Ich lebe davon, dass die Petersilie vergeht. Dann esse ich sie auf. Und das nährt mich, macht meine Haare schön und die gebe ich dann, wenn sie sich verabschiedet haben, wieder zurück an die Petersilie. Und den Salbei. Und die Himbeeren. Und so weiter.

Und so sind wir alle eins. Immer und im ewigen Kreislauf. Nicht erst, wenn wir sterben, sondern jetzt schon. Ganz konkret, ganz unspektakulär und ganz einfach. Hier auf meinem Balkon. Und ist das nicht auch eine Parallelwelt: mein Leben als reinkarnierte Petersilie und mein Leben wieder zurück reinkariniert in der Petersilie? Die Idee gefällt mir auch.

Ich weiss, das werden die Reinkarnationstheoretikvertretenden nicht mögen. Die denken dann, ich hätte ihre Idee nicht kapiert. Ich habe schon verstanden, was die meinen. Aber ich bin nicht ihrer Meinung. Denn ein Teil der These ist, dass eine Frau nicht die Endstufe des Reinkarnationslaufes sein kann. Sondern nur ein Mann, weil der das Höchste sei. Das Höchste von allem. Da ist ja zu sehen, wohin der Hase (und eben nicht die Häsin) läuft und auf welcher Basis und mit welcher Zielsetzung diese Theorie funktionieren soll.

Aber die Realität dieser Basis möchte ich schon aufgrund meiner persönlichen Erfahrung direkt in Zweifel ziehen. Diese Erfahrung, die ja nun bereits fast ein halbes Jahrhundert umfasst, bestätigt in keinster Weise, dass alle Männer, die ich getroffen oder von denen ich gehört und gelesen habe, der Erleuchtung näher seien als alle Frauen, die ich getroffen oder von denen ich gehört und gelesen habe.

Also da ist mir die Haare-und-Fussnägel-in-die-Beete-Praxis doch wesentlich einleuchtender. Aber das ist vielleicht das Problem: sie ist einfach, direkt, praktisch, kostet nichts und ist vor allem unspektakulär. Und funktioniert. Für alle.

Sowas lässt sich schlechter verkaufen als elitäre und diskriminierende Theorie, die spektakulär klingt. Und das habe ich schon öfter bemerkt: die Menschen tendieren dazu, etwas besonders klug zu finden, wenn sie es selbst nicht verstehen. Und wenn andere dann sagen, dass es nur besonders Kluge (oder hier: Erleuchtete) verstehen, dann denken diese Menschen: das muss aber sehr clever sein, denn ich verstehe es tatsächlich nicht. Was für die, die versuchen, es zu verstehen, den mythischen Reiz ins Unermessliche erhöht. Aber sehr oft ist es eben weder besonders klug noch mysthisch, sondern einfach nur ein unrealistisches und manipulatives Konstrukt.

Aber das soll nicht unbedingt und vor allem uneingeschränkt für die Reinkarnationstheorie gelten. Vielleicht ist da ja auch was dran, wenigstens teilweise. Wer bin ich, dass ich darüber abschliessend beurteilen könnte? Ich weiss, dass ich nichts weiss. Na, nicht ganz. Manches weiss ich dann doch. Zum Beispiel dass diese Mann-Frau-Hierarchie-Treppe definitiv Quatsch ist. Das ist mittlerweile bestätigt von unzähligen Beobachtungen und Untersuchungen: persönliche, wissenschaftliche, empirische und andere. Untersucht wurden Intelligenz, soziale Kompetenz, emotionale Intelligenz, Spiritualität und anderes im Geschlechtervergleich.

Und interessanterweise zeigen die Ergebnisse nicht nur eine für beide Geschlechter* gleichmäßige Verteilung, sondern sie zeigen alle genau das Gegenteil von der angeblichen Vormachtstellung des Mannes: überall schneiden die Frauen besser ab. Zu anderen Ergebnissen kommt meines Erachtens keine einzige Untersuchung.

Aber jetzt bin ich ganz von den Haaren in meiner Petersilie abgekommen. Klar können auch Männer ihre Haare in Blumentöpfe geben. Aus meiner Sicht ist das geschlechterübergreifend möglich. Wie ungefähr fast alles geschlechterübergreifend möglich ist. Klar gibt es ein paar Ausnahmen, zum Beispiel Kinderkriegen auf der einen Seite, kräftig zupacken und schnell laufen auf der anderen.

Aber alles in allem sind alle doch alle eins. Die Petersilie, der Salbei und ich. Pflanzen und Menschen. Pflanzen, Tiere und Menschen. Belebte und unbelebte Umwelt. Frauen und Männer.

Viel Spass beim Geben und Nehmen!

* hier wird auf zwei Geschlechter Bezug genommen, da in den mir bekannten Studien nur zwei Geschlechter (männlich, weiblich) untersucht wurden. Ich möchte mit dieser Aussage nicht ausblenden, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt.

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